Das Geschäftsmodell der Onlineplattformen
LexFox liegt das gleiche Geschäftsmodell zugrunde wie den Plattformen Flightright (Fluggastrechte) und myRight (Dieselklagen): Sie ermöglichen Verbrauchern, in einem standardisierten Verfahren die Erfolgsaussichten ihrer Ansprüche prüfen zu lassen. Lässt das Ergebnis gute Erfolgsaussichten erwarten, tritt der Verbraucher die Ansprüche ab, das Legal Tech-Unternehmen klagt diese im eigenen Namen und auf eigene Kosten ein. Eine Vergütung in Form einer Provision erhält das Unternehmen nur im Erfolgsfall, so dass für den Geschädigten kein finanzielles Risiko besteht. Dieses Geschäftsmodell ist eine Reaktion auf das „rationale Desinteresse“ des Verbrauchers: Bei geringwertigen Ansprüchen scheut dieser häufig eine Geltendmachung, sowohl mit Blick auf den zeitlichen Aufwand als auch dem mit der Beauftragung eines Anwalts verbundenen Kostenrisiko. Während der Gesetzgeber versucht, diesem Phänomen mit der im November 2018 in Kraft getretenen Musterfeststellungsklage oder – auf europäischer Ebene – mit einer neuen Verbandsklage zu begegnen, nutzen Unternehmen wie LexFox die herkömmlichen Möglichkeiten des Prozessrechts. Die finanzielle Unterstützung durch Prozessfinanzierer und eine durch IT-Lösungen immer weiter zunehmende Automatisierung erlauben es ihnen, betroffenen Verbrauchern bei immer kleineren Beträgen eine Durchsetzung ihrer Ansprüche anzubieten.
Hintergrund des Falls
Im konkreten Fall hatte ein Berliner Mieter seine Forderung im Zusammenhang mit der Mietpreisbremse an LexFox abgetreten und das Unternehmen mit der Durchsetzung beauftragt. Der BGH hatte darüber zu entscheiden, ob sich LexFox – stellvertretend für die gesamte Legal Tech-Branche – auf die Registrierung als Inkassodienstleister nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) stützen kann oder ob die angebotenen Leistungen darüber hinaus auch eine eigenständige Rechtsberatung darstellen, die nicht mehr von der Inkasso-Lizenz gedeckt sind. Das Berufungsgericht hatte die Klage zuvor abgewiesen, da die Leistung von LexFox keine Inkassotätigkeit, sondern eine Rechtsberatung mit angeschlossener Inkassodienstleistung sei. LexFox war diesem Argument entgegengetreten und berief sich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das Inkassounternehmen in zwei Entscheidungen aus 2002 und 2004 ausdrücklich erlaubt hatte, Rechtsberatung zu erbringen. Der vom Rechtsdienstleistungsgesetz bezweckte Verbraucherschutz, so LexFox, werde in sein Gegenteil verkehrt, wenn man solche Geschäftsmodelle untersage.
Rückendeckung für Legal Tech vom BGH
Der BGH hat in seiner Entscheidung einen weiten Inkasso-Begriff zugrunde gelegt und damit das Geschäftsmodell von LexFox bestätigt. Er sieht sich damit in Übereinstimmung mit der Intention des Gesetzgebers der – so der BGH bereits in der mündlichen Verhandlung – ein „modernes, zukunftsfähiges und liberalisiertes Rechtsdienstleistungsgesetz“ habe schaffen wollen. Ob der Gesetzgeber bei Verabschiedung des Gesetzes im Jahr 2008 tatsächlich Legal Tech Unternehmen als Anwendungsfall vor Augen hatte, darf bezweifelt werden. Inzwischen dürfte ein solches Verständnis aber jedenfalls mehrheitsfähig sein, wie die Einführung der Musterfeststellungsklage belegt. Zugleich hat der BGH den Legal Tech-Plattformen keinen Freibrief erteilt, sondern scheint ausweislich der Pressemitteilung eine einzelfallbezogene Abwägung vornehmen zu wollen. Demnach sollen Tätigkeiten, die eng mit der Einziehung der Forderung zusammenhängen und der Verwirklichung der Forderung dienen, zulässig sein. Nicht mehr von der Inkassoerlaubnis gedeckt seien demgegenüber Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Abwehr von Ansprüchen oder – wozu es ebenfalls bereits Legal Tech-Angebote gibt – im Zusammenhang mit der Vertragsgestaltung.
Ausblick: Neue Hindernisse für Legal Tech-Startups
Während die Entscheidung des BGH den Legal Tech-Unternehmen neuen Rückenwind verleiht, droht ihnen von anderer Seite Ungemach. So hat die Justizministerkonferenz im Frühjahr 2019 gefordert, dass Legal Tech-Portale mit Bezug zu Rechtsdienstleistungen nur von der Anwaltschaft betrieben werden dürfen. Zur Umsetzung hat das Bundesjustizministerium im September 2019 den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht veröffentlicht, der derzeit kontrovers diskutiert wird. Insbesondere die geplante Verschärfung der Anforderungen an eine Registrierung als Inkassodienstleister sowie die vorgesehene Verringerung der zulässigen Gebührensätze stoßen auf Widerstand. Schließlich bahnt sich auf europäischer Ebene weitere „Konkurrenz“ an. In die europäische Richtlinie zu Verbandsklagen, die ursprünglich noch vor den Parlamentswahlen im Mai 2019 hätte verabschiedet werden sollen, kommt wieder Bewegung. Eine Einigung zwischen Kommission, Parlament und den Mitgliedstaaten scheint in greifbare Nähe gerückt zu sein. Es bleibt spannend.