Sind vier Kameras zu viel?
Im zugrunde liegenden Fall hatte der Arbeitgeber in seinem Betrieb drei für seine Arbeitnehmer und jeden anderen deutlich erkennbare Videokameras installiert. Eine weitere Kamera überwachte den für den Publikumsverkehr nicht zugänglichen Büroraum. Aufgrund stichprobenartiger Kontrollen stellte der Arbeitgeber Unregelmäßigkeiten im Waren- und Kassenbestand fest und sichtete daraufhin die Aufnahmen des Videoüberwachungssystems. Infolge der daraus gewonnenen Erkenntnisse kündigte er einer Arbeitnehmerin fristlos. Diese erhob Kündigungsschutzklage und führte u.a. an, die Videoaufzeichnung sei rechtswidrig erfolgt und dürfe daher nicht als Beweis verwertet werden.
Allgemeine Vorgaben zur Videoüberwachung
Das Datenschutzrecht erlaubt es dem Arbeitgeber, personenbezogene Daten über seine Arbeitnehmer zu erheben, speichern oder anderweitig zu verarbeiten, wenn dies etwa für die Durchführung oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses erforderlich ist (§ 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG). In einem solchen Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis steht auch die Kontrolle, ob Arbeitnehmer ihren arbeitsvertraglichen Pflichten nachkommen oder die Aufdeckung von etwaigen Pflichtverstößen. Allerdings sind von diesem Erlaubnistatbestand nicht alle Datenerhebungen erfasst. Da es sich bei den Erhebungen jeweils um Eingriffe in die Grundrechte der betroffenen Arbeitnehmer handelt, muss eine Abwägung erfolgen, ob im Einzelfall das Informationsinteresse des Arbeitgebers an der Datenerhebung das Interesse des Arbeitnehmers an der Integrität seiner Grundrechte, insbesondere dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, überwiegt. Eine Videoüberwachung ist deshalb nur zulässig, wenn dabei nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der sie rechtfertigenden Gründe in die Grundrechte der betroffenen Arbeitnehmer eingegriffen wird. Das BAG stellt zunächst erneut klar, dass heimliche Videoüberwachungen überhaupt nur dann zulässig sein können, wenn ein auf konkreten Tatsachen beruhender Verdacht einer schweren Pflichtverletzung oder Straftat des Arbeitnehmers besteht. Heimliche Überwachungen „ins Blaue hinein“ sind dagegen grundsätzlich unzulässig. Im Umkehrschluss bedeute dies aber, dass Datenerhebungen, die weniger schwerwiegend in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen, auch ohne Vorliegen eines konkreten Anfangsverdachts zulässig sein können. Dies gelte insbesondere für offene Überwachungsmaßnahmen, die keinen Arbeitnehmer pauschal unter Verdacht stellen und der Verhinderung von Pflichtverletzungen dienen sollen.
Unzulässigkeit einer Dauerüberwachung
Sodann betont das BAG jedoch die entscheidende Einschränkung: Die Zulässigkeit der offenen Videoüberwachung findet ihre Grenzen, wo bei objektiver Betrachtung ein solcher psychischer Anpassungs- und Leistungsdruck entsteht, dass die betroffenen Arbeitnehmer in ihrem selbstbestimmten Handeln gehemmt sind. Konkret entstehe dieser Druck, wenn eine lückenlose, dauerhafte und detaillierte Erfassung des Verhaltens der Arbeitnehmer während der gesamten Arbeitszeit stattfindet, so dass der Eindruck entsteht, dass jede Bewegung überwacht wird. In einem solchen Fall müsse, wie bei der heimlichen Videoüberwachung, ein konkreter Verdacht für eine schwere Pflichtverletzung des Arbeitnehmers vorliegen. Im entschiedenen Fall wird dies das Landesarbeitsgericht beurteilen müssen, an das die Sache zurückverwiesen wurde.
Für die Praxis
Insbesondere Arbeitgeber, die in ihren Betrieben mehrere Kameras installiert haben, die in unterschiedlichen Räumen montiert sind und die Arbeitnehmer aus unterschiedlichen Blickwinkeln aufnehmen, sollten ihr Überwachungssystem auf den Prüfstand stellen. Auch wenn die Videoüberwachung nicht in erster Linie der Überwachung der eigenen Arbeitnehmer, sondern der Prävention von Diebstählen durch Kunden dient, kann sie aus Gründen des Arbeitnehmerdatenschutzes unzulässig sein. Ob eine lückenlose Überwachung vorliegt, die bei den betroffenen Arbeitnehmern einen unzulässigen psychischen Anpassungs- und Leistungsdruck erzeugt, kann nicht pauschal beurteilt werden. In Betracht zu ziehen sind im jeweiligen Einzelfall insbesondere die Größe der Räume, in denen die Kameras installiert sind, ob es in diesen Räumen Bereiche gibt, die nicht aufgezeichnet werden, ob auch Sozial- und Ruheräume mit Kameras ausgestattet sind („überwachungsfreie Zonen“) und ob alle Tätigkeiten der Arbeitnehmer erfasst werden, oder etwa nur Tätigkeiten im Kassenbereich. Sollten die Arbeitnehmer zu keinem oder fast keinem Zeitpunkt unbeobachtet sein, besteht Handlungsbedarf.