Der Bayerische Anwaltsgerichtshof hat dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob das sogenannte Fremdbesitzverbot im anwaltlichen Berufsrecht gegen Europarecht verstößt (Urteil vom 20.04.2023 – III-4-20/21). Danach dürfen Personen, die nicht der Anwaltschaft oder einem sozietätsfähigen Beruf angehören, nicht Gesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft sein. Das Fremdbesitzverbot ist seit Langem politisch umstritten und wird unter anderem von Legal-Tech-Anbietern kritisiert. Im Zusammenhang mit der „großen BRAO-Reform“ im Jahr 2021 wurde über die Einschränkung des Verbots diskutiert, es wurde letztlich aber aufrechterhalten und lediglich der Kreis der sozietätsfähigen Berufe deutlich erweitert.
Darum ging es im Streitfall
Anlass für die Vorlage an den EuGH gab ein Fall, in dem die zuständige Rechtsanwaltskammer einer Rechtsanwalts-UG die Zulassung entzogen hatte, nachdem eine österreichische GmbH, die selbst nicht zur Rechtsanwaltschaft zugelassen war, 51 % der Geschäftsanteile an der UG übernommen hatte.
In der für den Fall maßgeblichen Fassung der BRAO (geltend bis zum 31.07.2022) sah deren § 59e vor, dass nur Rechtsanwälte und Angehörige sozietätsfähiger Berufe Gesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft sein dürfen, die in der Gesellschaft beruflich tätig sind (Abs. 1), dass Gesellschaftsanteile nicht für Rechnung Dritter gehalten und Dritte nicht am Gewinn der Rechtsanwaltsgesellschaft beteiligt werden dürfen (Abs. 3). Die GmbH kam folglich nicht als Gesellschafterin in Betracht.
Nachdem der Geschäftsführer und alleinige Gesellschafter der UG der Kammer die Anteilsübernahme mitgeteilt hatte, widerrief diese die Zulassung der UG als Rechtsanwaltsgesellschaft unter Hinweis auf § 59e BRAO a.F. Gegen den Widerruf der Zulassung klagte die UG. Sie sieht sich durch den Widerruf der Zulassung in ihren Rechten verletzt. Die dem Widerruf zugrunde liegenden Regelungen in § 59e BRAO a.F. verletzen aus ihrer Sicht EU-Recht, unter anderem das Recht auf Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 Abs. 1 AEUV), Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) sowie aus Art. 15 Dienstleistungsrichtlinie.
Deutsches Recht ist vorliegend eindeutig
Der Bayerische AGH hat in seiner ausführlich begründeten Entscheidung festgehalten, dass nach dem geltenden deutschen Recht der Klägerin zwingend die Zulassung zu entziehen war. Das Gericht sieht jedoch die Kapitalverkehrsfreiheit durch die Regelungen in §§ 59a und 59e BRAO a.F. eingeschränkt und äußert Zweifel daran, ob die dort geregelten Beschränkungen für Rechtsanwaltsgesellschaften mit dem Grundrecht der Kapitalverkehrsfreiheit gem. Art. 63 AEUV vereinbar sind. Dies gelte auch im Lichte der durch die „große BRAO-Reform“ zum 01.08.2022 eingetretenen Lockerungen insbesondere hinsichtlich des Kreises der zulässigen Gesellschafter von Rechtsanwaltsgesellschaften. Das Fremdbeteiligungsverbot gilt auch nach der neuen Rechtslage; Gesellschaften neuen Rechts sind nach Ansicht des Bayerischen AGH in gleicher Weise betroffen.
Der AGH äußert ferner Zweifel, ob die Regelungen in §§ 59a, 59e BRAO a.F. mit der Dienstleistungsrichtlinie sowie mit dem Recht auf Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) vereinbar sind. Er hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, die das Fremdbesitzverbot nach §§ 59a, 59e BRAO a.F. betreffen. Der Entscheidung darüber werden erhebliche Auswirkungen auch auf das geltende Recht zugeschrieben.