Anwält*innen dürfen sich bei der Mandatsausübung nicht vom eigenen wirtschaftlichen Interesse leiten lassen, entschied das Landgericht Berlin am 08.08.2022 (83 O 9/22).
Der Streitfall
Im Jahr 1992 erteilte die zwischenzeitlich verstorbene Klägerin dem Beklagten, einem Rechtsanwalt, eine Anwaltsvollmacht zur Prozessführung und Verwaltung eines Wohn- und Geschäftshauses. Der Anwalt schloss bzw. kündigte Mietverträge im Namen der Klägerin; u.a. schloss er zwei Gewerberaummietverträge mit seiner Ehefrau und verlängerte den Gewerberaummietvertrag mit einem Ehepaar. Für die Verlängerung und das Absehen von Mieterhöhungen soll der Anwalt ein Schmiergeld in Höhe von 14.500 Euro erhalten haben.
Die Klägerin hielt die Mietverträge mit der Ehefrau für sittenwidrig und beantragte beim LG die Feststellung, dass diese nichtig seien und dass dem Beklagten keinerlei Honorar für deren Abschluss zustehe. Zudem begehrte sie die Auskehrung des erhaltenen Schmiergelds. Nach dem Tod der Klägerin im Jahr 2020 nahm ihr Sohn das Verfahren auf.
Wirtschaftliche Interessen beeinflussten Mandatsausübung
Das LG stellte fest, dass die Mietverträge zwischen der Klägerin und der Ehefrau sittenwidrig und damit nichtig seien. Der Beklagte habe in fundamentaler Weise die anwaltliche Unabhängigkeit verletzt, indem er einen Mietvertrag mit seiner Ehefrau im Namen der Klägerin abschloss und sich damit bei der Mandatsausübung von eigenen wirtschaftlichen Interessen leiten ließ. Dadurch sieht das Gericht die Interessen der Rechtspflege und das Vertrauen des rechtsuchenden Publikums in die Kompetenz und Unabhängigkeit der Rechtsanwaltschaft in einer Weise gefährdet, dass sich daraus das Unwerturteil der Sittenwidrigkeit ergibt.
Schadenersatz bejaht
Das LG nahm an, dass der Rechtsanwalt und die Klägerin einen Anwaltsvertrag geschlossen hatten. Ein Anwaltsvertrag mit der Pflicht, dem Auftraggeber rechtlichen Beistand zu leisten (§ 3 BRAO), liege selbst dann vor, wenn der Vertrag anwaltsfremde Pflichten – wie hier die Verwaltung des Mietobjekts – enthält. Anders sei es, wenn die Rechtsbetreuung völlig in den Hintergrund tritt. Die zahlreichen Anwaltsvollmachten, die die verstorbene Klägerin erteilt hatte, sprächen eindeutig für das Vorliegen eines Anwaltsvertrags. Ein Vergütungsanspruch für den sittenwidrigen Abschluss der Mietverträge steht dem Beklagten hierfür nicht zu.
Das LG sah als erwiesen an, dass der Rechtsanwalt Schmiergelder entgegengenommen hatte, damit er den Mietvertrag des Ehepaars ohne Mieterhöhung verlängerte. Es ging ferner davon aus, dass der verstorbenen Klägerin dadurch ein Schaden entstanden war, weil sie ansonsten höhere Miete vereinnahmt hätte. Die als Schmiergeld vereinnahmten Zahlungen seien daher als Schadensersatz an den Kläger auszukehren.