Ohne Impfung kein Ende der Pandemie und vor allem: keine Normalität im betrieblichen Alltag. Das weiß auch die Wirtschaft. Doch welche Möglichkeiten haben Arbeitgeber, eine Impfung der Belegschaft zu forcieren? Wir haben bei Rechtsanwalt Tim Bulian, tätig bei KLIEMT.Arbeitsrecht in Frankfurt/M., nachgefragt.
DB: Herr Bulian, auch wenn die Politik eine allgemeine Impfpflicht gegen Corona bislang ausschließt: Für einzelne Berufsgruppen wird ein solcher Schritt diskutiert. Wäre eine solche selektive Pflicht zur Vakzination juristisch möglich? Und wenn ja: Was wäre zu beachten?
Bulian: Die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht ist angesichts des grundrechtsrelevanten Eingriffscharakters äußerst heikel und wird nur in Ausnahmefällen zu rechtfertigen sein. Notwendig wäre hierfür zunächst die Schaffung einer entsprechenden Eingriffsgrundlage in Form eines formellen Gesetzes, wobei sich bereits hier die Frage stellt, ob eine berufsgruppenübergreifende Impflicht erforderlich bzw. verhältnismäßig ist und damit den verfassungsrechtlichen Anforderungen standhält. Zu beachten ist schließlich, dass es bereits bei generell-abstrakter Betrachtung unterschiedliche Ansteckungs- und Infektionsrisiken für die jeweiligen Personen- bzw. Berufsgruppe gibt und eine Impfpflicht als Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte körperliche Unversehrtheit nur als „letztes zur Verfügung stehende Mittel“ in Betracht kommen kann. Soweit sich die Politik also überhaupt für die Einführung einer „Impfpflicht“ entscheiden sollte, wird die Ihrerseits angesprochene „Selektivität“ m.E. zwangsläufiges Resultat unserer verfassungsrechtlichen Grundsätze sein.
DB: Unterstellt, es bleibt dabei, dass keine (auch keine selektive) Impfpflicht eingeführt wird: Können AG eine Impfung ihrer Mitarbeiter (oder zumindest einer Gruppen) qua Direktionsrecht anordnen?
Bulian: Klare Antwort: Nein, der Arbeitgeber kann von dem Arbeitnehmer nicht mehr verlangen, als von diesem geschuldet ist. Soweit keine gesetzliche Impfpflicht besteht bzw. eine solche nicht vertraglich vereinbart wurde, wären etwaige Weisungen des Arbeitgebers unbillig und müssten arbeitnehmerseitig nicht befolgt werden. Damit steht der Arbeitgeber allerdings nicht ohne jegliche Handlungsmöglichkeit da. Dem Arbeitgeber bleibt schließlich unbenommen zu prüfen, ob er den betreffenden (impfunwilligen) Arbeitnehmer überhaupt noch sinnvoll auf der von diesem bislang wahrgenommenen Position einsetzen kann, und die hieraus resultierenden arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu ziehen.
DB: Wäre es denkbar, Anreize zum Impfen zu setzen – etwa über Geldzahlungen oder sonstige Vergünstigungen? Was ist zu beachten, wenn ein AG ein solches Programm auflegt (wie ist der Betriebsrat zu beteiligen etc.)?
Bulian: Selbstverständlich. Arbeitgeber können Impfanreize z.B. durch die Zahlung entsprechender Impfprämien oder die Gewährung von Sonderurlaubstagen oder Gutscheinen schaffen. Der Kreativität des Arbeitgebers sind grundsätzlich keine Grenzen gesetzt. Arbeitgeber, die sich für eine Impf-Incentivierung ihrer Belegschaft entscheiden, sollten allerdings insbesondere darauf achten, dass die Gewährung etwaiger Impfanreize nicht an leistungsunabhängige Faktoren geknüpft wird oder an sachgrundlosen Ungleichbehandlungen krankt. Angesichts des generell kollektiven Bezugs solcher Anreizsysteme sind zudem die betrieblichen Mitbestimmungsrechte beachten, z.B. durch den Abschluss entsprechender Betriebsvereinbarungen. Die Einbindung des zuständigen Betriebsrats kann nicht zuletzt als zusätzliches Sprachrohr in Richtung Belegschaft genutzt werden, um den Prozess und die Zielrichtung der arbeitgeberseitig angestrebten Incentivierung kommunikativ zu unterstützen.
DB: Dürfen AG (unabhängig von etwaigen Anreizprogrammen) einen Impfnachweis verlangen und wenn ja: Dürfen sie geimpften Mitarbeitern Privilegien gewähren (nur Geimpfte dürfen in die Kantine, die Aufzüge benutzen und ohne Maske im Großraumbüro sitzen)?
Bulian: Ein Impfnachweis kann vom Arbeitgeber grundsätzlich nur dann verlangt werden, wenn dieser für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses erforderlich ist. Bei der Beantwortung der Frage, ob dieses Erforderlichkeitskriterium im Einzelfall erfüllt ist, sind insbesondere die nachfolgenden Faktoren zu beachten: (1.) die besondere Qualität bzw. Schutzwürdigkeit der zu erhebenden Gesundheitsdaten und (2.) die Ziel- bzw. Schutzrichtung, die der Arbeitgeber verfolgt und (3.) der Umstand, dass der Gesetzgeber enumerativ Anwendungsfälle geschaffen hat, in denen die Verarbeitung des Impfstatus einzelner Arbeitnehmer erlaubt ist (vgl. § 23a Satz 1 IfSG).
Bereits die gesetzliche Verankerung von § 23a IfSG und der hieraus zu ziehende Umkehrschluss zeigen, dass die Vorlage eines Impfnachweises nur im Ausnahmefall vom Arbeitgeber verlangt werden kann. Vor dem Hintergrund, dass nach gegenwärtigem Forschungsstand zudem nicht nachgewiesen ist, dass die Impfung über den Schutz des Geimpften hinaus auch Dritte vor etwaigen Ansteckungen zu schützen vermag, wird der Arbeitgeber etwaige Lockerungen der geltenden Hygienevorschriften für nachweislich geimpfte Arbeitnehmer – Stand jetzt – nicht rechtssicher implementieren können. Dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass die geltenden Corona-Kontakt-Regeln und Betriebsbeschränkungsverordnungen – bislang – selbst keine Ausnahmen für geimpfte Personen zulassen, sondern vielmehr unabhängig vom Impfstatus des Einzelnen gelten.
DB: Dürfen Arbeitgeber eine Kopie des Impfausweises in der Personalakte des Arbeitnehmers oder einer Datenbank niederlegen?
Bulian: Hier gilt das Vorstehende: Ein dauerhafte Speicherung in der Personalakte wird grundsätzlich nicht für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses erforderlich sein. Im Übrigen gilt der Grundsatz der Datensparsamkeit: Die Vorlage bzw. Speicherung des gesamten Impfausweises ist eine überschießende Datenerhebung, die nicht für die Feststellung, ob der Arbeitnehmer gegen Corona geimpft ist oder nicht, erforderlich ist.
Daher gilt: Arbeitgeber, die ein Impfanreizsystem implementieren möchten, sollten in der Praxis darauf achten, dass entsprechende Anreize (z.B. Impfprämien) nur dann gewährt werden, wenn der betreffende Arbeitnehmer zuvor eine Erklärung vorlegt, in der er bestätigt, die vom Arbeitgeber definierten Voraussetzungen zur Gewährung der Prämie zu erfüllen und in die Verarbeitung seiner hierfür relevanten Daten einwilligt. Um etwaigen Missbrauchsfällen vorzubeugen, könnte in diesem Zusammenhang auch die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über den Corona-spezifischen Impfstatus des Arbeitnehmers gefordert werden. Soweit die Implementierung in Gestalt einer Betriebsvereinbarung erfolgen soll, bietet es sich an, eine entsprechende Muster-Erklärung der Betriebsvereinbarung als Anlage beizufügen.
DB: Welche Besonderheiten sind zu beachten, wenn eine Impfung im Betrieb und nicht durch eine externe Stelle durchgeführt wird?
Bulian: Auch wenn die Impfung im Betrieb durchaus pragmatisch erscheint, gilt hier: Je mehr der Arbeitgeber betriebsintern anbietet, desto größer ist das Haftungsrisiko, dem er sich aussetzt. Auch wenn Behandlungs- und Aufklärungsfehler des Impfteams nicht pauschal zu einem Haftungsdurchgriff zulasten des Arbeitgebers führen, schafft der Arbeitgeber mit einem betriebsinternen Impfangebot eine Gefahrenlage, die ihn grundsätzlich dazu verpflichtet, sämtliche notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung der Mitarbeiter zu verhindern.
Angesichts der aktuellen Versorgungssituation ist gegenwärtig allerdings ohnehin nicht zu erwarten, dass Impfkontingente für betriebliche Vakzinationen bereitgestellt bzw. Impfungen überhaupt außerhalb der eingerichteten Impfzentren ermöglicht werden. Bis dahin sind die Handlungsmöglichkeiten des Arbeitgebers darauf beschränkt, die Impfbereitschaft und -dichte seiner Belegschaft durch finanzielle Anreize zu fördern.
Vielen Dank für das Interview, Herr Bulian!
Das Interview führte Claus Dettki, DER BETRIEB.