Bund und Länder haben sich darauf geeinigt, dass Arbeitgeber ihren Beschäftigten künftig das Arbeiten im Homeoffice überall dort ermöglichen müssen, wo es die Tätigkeiten zulassen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat dazu am 22.01.2021 eine Verordnung (SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung – Corona-ArbSchV) verkündet, die am 27.01.2021 in Kraft getreten ist. Welche Konsequenzen sich nun daraus für Unternehmen ergeben, erklärt Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Björn Otto, Partner bei der Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland.
DB: Herr Dr. Otto, Arbeitgeber sollen befristet verpflichtet werden, Homeoffice zu ermöglichen. Was bedeutet das jetzt konkret für die Unternehmen?
Otto: „Die Corona-Arbeitsschutzverordnung sieht vor, dass Arbeitgeber den Beschäftigten für die Zeit bis zum 15.03.2021 anbieten müssen, ihre Tätigkeit in deren Wohnung auszuführen. Die Verpflichtung gilt allerdings nicht für alle Arbeiten. Sie bezieht sich nur auf Büroarbeit und vergleichbare Tätigkeiten, die grundsätzlich auch zu Hause erledigt werden können. Der Arbeitgeber muss kein Homeoffice anbieten, wenn zwingende betriebsbedingte Gründe einem dezentralen Arbeiten entgegenstehen.“
DB: Das heißt, Arbeitgeber müssen zumindest unter bestimmten Umständen Homeoffice anbieten – ist diese Muss-Regelung überhaupt verfassungskonform?
Otto: „Die erlassene Regelung schränkt die Befugnis des Arbeitgebers, den Arbeitsort im Rahmen der vertraglichen und gesetzlichen Vorgaben zu bestimmen, im Interesse des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten ein. Angesichts der nach wie vor hohen Infektionszahlen sowie der bislang weitgehend unerforschten Virusmutationen sollen noch härtere Beschränkungen vermieden werden. Ob die Regelung den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit genügt, werden die Gerichte entscheiden müssen. Dafür spricht aber, dass eine Verringerung von Kontakten die Ausbreitung des Coronavirus begrenzt. So geht beispielsweise eine aktuelle Studie des Institute of Labor Economics davon aus, dass eine Erhöhung der Homeoffice-Quote von angenommenen 25 % um weitere 10 % dazu führen würde, dass die Zahl der Neuinfektionen – bei weiterhin geschlossenen Schulen und Betreuungseinrichtungen – Ende Februar gut ein Viertel niedriger wäre. Auch ist das Arbeiten von zu Hause im Vergleich zu noch weitergehenden Einschränkungen der wirtschaftlichen Betätigung der Betriebe sicherlich ein milderes Mittel.“
DB: Wann sind Unternehmen ganz sicher von der Pflicht zum Homeoffice befreit?
Otto: „Das ist insbesondere dann der Fall, wenn eine Verlagerung der Tätigkeit in die Wohnung des Arbeitnehmers dazu führt, dass der übrige Betrieb entweder nur eingeschränkt oder überhaupt nicht mehr aufrechterhalten werden kann. So kann es erforderlich sein, dass mit der Büroarbeit verbundene Nebentätigkeiten, wie etwa die Bearbeitung und Verteilung der eingehenden Post, die Bearbeitung des Warenein- und -ausgangs oder Notdienste zur Aufrechthaltung des Betriebs weiterhin an der Arbeitsstätte erbracht werden. Vielfach wird es auch um unzureichende IT-Infrastruktur oder im Homeoffice fehlende sonstige technische Voraussetzung gehen. Auch der in der Privatwohnung gegebenenfalls nicht gewährleistete Schutz von Geschäftsgeheimnissen und datenschutzrechtliche Anforderungen können einer Arbeit im Homeoffice im Einzelfall entgegenstehen.“
DB: Wer entscheidet, ob eine Tätigkeit geeignet für das Homeoffice ist?
Otto: „Der Arbeitgeber muss selbst prüfen und entscheiden, ob die Verlagerung einer Tätigkeit ins Homeoffice möglich ist oder ob zwingende betriebsbedingte Gründe entgegenstehen. Es steht ihm damit ein gewisser Beurteilungsspielraum zu.“
DB: Wer soll eigentlich die Einhaltung der Neuregelung kontrollieren?
Otto: „Die Einhaltung der Corona-Arbeitsschutzverordnung soll von den Arbeitsschutzbehörden der Länder mit Unterstützung der Aufsichtsdienste der Unfallversicherungsträger kontrolliert werden. Hierzu gehört auch, dass die Unternehmen auf Verlangen die für eine wirksame Aufsicht erforderlichen Auskünfte geben und Unterlagen zur Verfügung stellen müssen. Auch wenn vor Ort Besichtigungen aus Infektionsschutzgründen aktuell häufig nicht möglich sein werden, ist davon auszugehen, dass Arbeitgeber die einer Arbeit von zuhause aus ihrer Sicht entgegenstehenden zwingenden betriebsbedingten Gründe im Streitfall erläutern und plausibilisieren müssen.“
DB: Gibt es auch neue Bestimmungen für Unternehmen, bei denen Homeoffice nicht infrage kommt?
Otto: „Viele Tätigkeiten in Produktion, Dienstleistung, Handel, Industrie und Logistik können per se nicht im Homeoffice ausgeführt werden. Hier muss der Arbeitgeber seinen Beschäftigten auch kein entsprechendes Angebot machen. Allerdings gelten für die Arbeit im Betrieb ergänzend zu den bereits heute maßgeblichen SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregeln zukünftig (zunächst befristet bis zum 15.03.2021) strengere Vorgaben für Abstände und Mund-Nasen-Schutz.
So sind betriebsbedingte Zusammenkünfte (zum Beispiel Besprechungen) auf das betriebsnotwendige Minimum zu reduzieren. Auch darf bei gleichzeitiger Raumnutzung durch mehrere Personen eine Mindestfläche von zehn Quadratmetern für jede im Raum anwesende Person nicht unterschritten werden.
Soweit die auszuführenden Tätigkeiten diese Abstände nicht zulassen oder die Treffen nicht durch Verwendung von Informationstechnologie (Videokonferenz etc.) ersetzt werden können, sind alternative Schutzmaßnahmen erforderlich, wie Lüftungsmaßnahmen und geeignete Abtrennungen. Auch müssen die Mitarbeiter in Betrieben mit mehr als zehn Beschäftigten in möglichst kleine Arbeitsgruppen eingeteilt werden und sollen zeitversetzt arbeiten, soweit es die betrieblichen Gegebenheiten zulassen. Hierzu gehört auch die entzerrte Nutzung von im Betrieb befindlichen Kantinen und Pausenräumen.
Schließlich hat der Arbeitgeber medizinische Gesichts- oder FFP2-Masken zur Verfügung zu stellen, die von den Beschäftigten getragen werden müssen, wenn sich in einem Raum mehr als eine Person pro zehn Quadratmeter länger aufhält, der Abstand von 1,5 Metern nicht eingehalten werden kann oder bei Tätigkeiten mit Gefährdung durch erhöhten Aerosolausstoß.“
DB: Entsteht nun ein Anspruch des Arbeitnehmers, seine Arbeitsleistung nicht mehr im Betrieb, sondern von zu Hause aus erbringen zu dürfen? Und: Was ist, wenn der Arbeitnehmer gar nicht ins Homeoffice will?
Otto: „Nein, ein individueller Anspruch des Arbeitnehmers, seine Arbeitsleistung von zu Hause aus zu erbringen, wird nicht begründet. Die Corona-Arbeitsschutzverordnung enthält lediglich eine an den Arbeitgeber gerichtete Verpflichtung, Homeoffice, soweit möglich, anzubieten. Eine korrespondierende Pflicht des Arbeitnehmers, das Angebot auch anzunehmen und von zu Hause aus zu arbeiten, gibt es ebenfalls nicht. Vielmehr soll dezentrales Arbeiten – der bisherigen Rechtslage entsprechend – nur nach einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder zum Beispiel auf Grundlage einer Betriebsvereinbarung möglich sein. Auch ein einseitiges Recht des Arbeitgebers, die Belegschaft ins Homeoffice zu schicken, vermittelt die Corona-Arbeitsschutzverordnung nicht. Allerdings spricht viel dafür, dass der Arbeitgeber im Rahmen seines arbeitgeberseitigen Direktionsrechts zur (vorübergehenden) Anordnung dezentraler Arbeit befugt ist, wenn er seine Belegschaft – etwa im Rahmen der aktuellen Corona-Pandemie – auf anderem Wege nicht hinreichend vor einer erheblichen Gesundheitsgefährdung schützen kann. Das gilt jedenfalls dann, wenn im Arbeitsvertrag kein bestimmter Arbeitsort vorgesehen ist.“
DB: Die neue Pflicht gilt seit heute (27.01.2021) – was sollten Unternehmen jetzt unbedingt beachten?
Otto: „Jeder Arbeitgeber sollte jetzt prüfen, ob die in seinem Betrieb verrichteten Tätigkeiten als Büroarbeit oder vergleichbare Tätigkeiten überhaupt von zu Hause aus erledigt werden können. Ist das grundsätzlich der Fall, ist abzuklären, ob der Arbeit im Homeoffice zwingende betriebsbedingte Gründe entgegenstehen.
Sofern dezentrales Arbeiten danach in Betracht kommt, empfehle ich, aktiv auf die einzelnen Mitarbeiter zuzugehen und ihnen ausdrücklich anzubieten, zu Hause zu arbeiten. Um auf etwaige behördliche Nachfragen oder Kontrollen reagieren und nachweisen zu können, dass die Anforderungen der Corona-Arbeitsschutzverordnung beachtet wurden, sollten die einzelnen Schritte und Überlegungen sowie die Reaktion des Arbeitnehmers (Annahme oder Ablehnung des Homeoffice-Angebots) schriftlich fixiert werden. Für die nicht dezentral zu erledigenden Aufgaben müssen die verschärften Arbeitsschutzregeln vor Ort beachtet werden.“
Vielen Dank für das Interview!
Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro.