Ab 2020 müssen Unternehmen, die Wertpapiere innerhalb der EU emittiert haben, Jahresfinanzberichte in einem EU-einheitlichen digitalen Berichtsformat (ESEF) vorlegen. Wird damit tatsächlich die Analyse und Vergleichbarkeit von Jahresfinanzberichten erleichtert? Und sollten sich Unternehmen bereits jetzt mit dem neuen Standard beschäftigen? Prof. Dr. Dirk Jödicke, Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Unternehmensrechnung an der Hochschule Düsseldorf, gibt Antworten.
DB: Herr Prof. Jödicke, die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) hat Ende 2017 der EU-Kommission ihren finalen Entwurf eines sog. technischen Regulierungsstandards (Regulatory Technical Standard (RTS)) zum EU-einheitlichen digitalen Berichtsformat vorgelegt. Worum geht es dabei genau?
Jödicke: „Mit diesem RTS geben EU-Kommission und ESMA erstmals ein einheitliches Format zur Digitalisierung von Finanzberichten vor. Sie verfolgen damit das Ziel, Informationen in den Berichten leichter verfügbar zu machen: Denn statt des PDF- oder HTML-Dateiformats hat sich die ESMA mit XHTML/iXBRL für ein Datenformat entschieden, in dem Informationen durch integrierte Etiketten so markiert werden können, dass sie maschinell auslesbar sind. Für Unternehmensanalysen könnten viele Detailinformationen damit zukünftig ‚auf Knopfdruck‘ verfügbar sein und ein mühsames Durcharbeiten von Geschäftsberichten teils entfallen. Insofern hat diese auf den ersten Blick nach Technik-Details aussehende Regulierung meines Erachtens das Potenzial, die Finanzmarktkommunikation von Unternehmen grundlegend zu verändern.“
DB: Ab 2020 soll also eine einheitliche technische Vorgabe für die Geschäftsberichterstattung der Unternehmen vorliegen, um größere Transparenz auf den Kapitalmärkten zu erreichen. Ist das denn ein realistisches Ziel?
Jödicke: „Technisch sind mit dem nun definierten Datenformat und dem 2018 gestarteten EU-weiten Zugriffsportal auf Finanzberichte (Europäisches Elektronisches Zugangsportal (EEZP)) die Basis gelegt. Datenbankanbieter und Finanzdienstleister werden diese neuen Datenquellen sicher schnell erschließen. Probleme für eine Unternehmensanalyse sehe ich eher in der Detailtiefe und Vergleichbarkeit der etikettierten Informationen.“
DB: Wird die Kommission Ihrer Meinung nach die Freigabe des unveränderten Entwurfs vornehmen? Und was kritisieren Sie am aktuellen Entwurf?
Jödicke: „Rechtlich darf die EU-Kommission den Entwurf nur stoppen, wenn er das Unionsinteresse verletzt. Hierfür sehe ich keine Anhaltspunkte, so dass ich von einer unveränderten Übernahme und Veröffentlichung als EU-Verordnung ausgehe. Allerdings hat die EU-Kommission ihre 3-Monats-Frist zur Freigabe zuletzt häufig verfehlt und auch für diesen RTS haben wir bereits zeitlichen Verzug. Inhaltlich ist zu kritisieren, dass nicht alle für Unternehmensanalysen relevanten Informationen ‚auf Knopfdruck‘ zur Verfügung stehen werden. Denn für Anhanginformationen hat sich die ESMA fast durchgehend darauf beschränkt, nur den Textblock, in dem diese Information enthalten ist, etikettieren zu lassen statt einer detaillierten Etikettierung von Betragsangaben. Solche Textblock-Etikettierungen erleichtern zwar das Auffinden der Information, machen diese aber nicht unmittelbar maschinell nutzbar. Statt zahlreicher Textblock-Etikettierungen wäre es für den Anhang meiner Meinung nach sinnvoll gewesen, eher weniger, aber für Analysten relevante Informationen (z.B. Annahmen für Pensionsrückstellungen) detailliert zu etikettieren. Um solche relevanten Informationen zu identifizieren, wäre allerdings eine stärkere Beteiligung der Abschlussadressaten an den ESMA-Anhörungen erforderlich gewesen. Will ein Unternehmen dem Kapitalmarkt zukünftig auch wesentliche Anhanginformationen „auf Knopfdruck“ verfügbar machen, sollte es von der Möglichkeit einer freiwilligen detaillierten Etikettierung des Anhangs Gebrauch machen.“
DB: Ist im Zusammenhang mit der Einführung eines ESEF kurz- und mittelfristig mit weiteren Regulierungen zu rechnen?
Jödicke: „Zunächst liegt es bei der EU-Kommission, den vorliegenden Entwurf kurzfristig freizugeben. In der Folge wäre dann u.a. mit Anpassungen der Einreichungsvorgaben nationaler Publikationsplattformen – in Deutschland etwa des elektronischen Bundesanzeigers – an die ESEF-Formatvorgaben zu rechnen. Daneben hat die ESMA die EU-Kommission aufgefordert, durch weitere Regulierungen (z.B. Sanktionsmechanismen oder erweiterte Prüfungspflicht) die Verlässlichkeit der digitalen Etikettierungen sicher zu stellen. Und auch die ESMA selbst scheint ihren jetzigen Regulierungsentwurf als ersten Schritt zu sehen, um die Etikettierungsvorgaben ggf. später zu verfeinern. Insgesamt ist also mit zahlreichen Folgeregulierungen zu rechnen.“
DB: In Deutschland kennt man die grundlegende Technik zwar schon durch die E-Bilanz, aber das nun angedachte Format wird sich davon unterscheiden. Unternehmen kommen also kaum um Anpassungen herum. Welche werden das sein und wie eilig sind diese?
Jödicke: „In technischer Hinsicht werden die IT-Anbieter ihre Systeme sicherlich um entsprechende ESEF-Schnittstellen erweitern. Herausfordernder werden meines Erachtens eher strategische Fragen der Finanzmarktkommunikation, etwa welche Berichtsformate (Papier, PDF, HTML) zukünftig parallel zum ESEF-Format angeboten werden sollen, und welche Bedeutung nicht-etikettierbare Pro-Forma-Kennzahlen – z.B. ein bereinigtes EBIT – in der Adressatenwahrnehmung und für ein Story-Telling zukünftig noch haben. Daneben ist es empfehlenswert etwa durch Probeetikettierungen frühzeitig mögliche Abweichungen zum bisherigen Ausweisverhalten zu identifizieren, um eventuelle Anpassungen kommunizieren zu können. Im Vorfeld der Probeetikettierung und für ein Kontenmapping erscheint es hilfreich, historisch gewachsene Konten- und Positionspläne um nicht mehr benötigte Elemente zu bereinigen und auch mögliches Vereinheitlichungspotenzial zu anderen regulatorischen Vorgaben – etwa FINREP – zu nutzen. Zusätzlich ist zu beachten, dass der Etikettenkatalog durch neue oder geänderte IFRS regelmäßig aktualisiert wird, so dass auch Prozesse zur Anpassung der einmal vorgenommenen Zuordnungen zu implementieren sind. Um all dies zu erledigen, scheint mir die verbleibende Zeit eher knapp, wenn Unternehmen es vermeiden wollen, Kapitalmarktteilnehmer im Berichtsjahr 2020 mit Änderungen zu überraschen.“
DB: Vielen Dank für das Interview, Herr Prof. Jödicke!
Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro.
Mehr erfahren:
Vertiefte Informationen und Anwendungsbeispiele finden Sie im Fachbeitrag „Finaler Standardentwurf der ESMA zum einheitlichen elektronischen Berichtsformat (ESEF)“ von Prof. Dr. Dirk Jödicke und Dr. Ralf Jödicke. Der Beitrag ist in DER BETRIEB Nr. 13 vom 29.03.2018, S. 213 ff. erschienen sowie online unter Dokumentennummer DB1263981.