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19.01.2018

Interview

ICO – Finanzierungsmodell mit Zukunft oder Bitcoin-Blase?

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Der Betrieb

Das Initial Coin Offering (ICO) ist ein neues Finanzierungsmodell in der Welt der Kryptowährungen. Wie es funktioniert, welche Risiken es birgt und ob das ICO wirklich Substanz hat oder es sich dabei nur um eine Blase handelt, erklärt Rechtsanwalt und Software-Entwickler Florian Glatz im Interview.

DB: Herr Glatz, man hört, ICO setze die etablierten Regeln der Venture Capital Szene außer Kraft. Ist das so? Was ist ICO überhaupt?

Glatz: „Glaubt man den Statistiken, hat die Start-up-Finanzierung durch ICOs im Sommer 2017 die klassischen Finanzierungswege durch Venture Capital überholt.[1] In der Tat werden bei einem ICO die etablierten Regeln des Risikokapitalmarkts für junge Unternehmen über Bord geworfen! Inspiriert vom Erfolg der dezentralen Internetwährung Bitcoin versuchen Start-ups, die sich mittels eines ICO finanzieren wollen, das dahinterstehende Prinzip dezentraler Netzwerke auf alle Arten von Internetplattformen zu verallgemeinern. Unternehmensziel ist es, die Funktionsweise und das Geschäftsmodell von bekannten Internetplattformen wie etwa Facebook oder AirBnB auf den Kopf zu stellen. An die Stelle des klassischen Plattformenbetreibers tritt ein Netzwerkprotokoll, das die Interaktion der Plattformnutzer koordinieren soll. Statt einer klassischen IT-Infrastruktur, die heute von Serviceprovidern wie Amazon AWS, Microsoft Azure oder Google Cloud bereitgestellt wird, sollen die Nutzer der neuartigen Plattformen die dafür benötigte Rechen- und Speicherkapazität selbst bereitstellen. Der Anreiz dafür folgt dem Bitcoin-Prinzip: durch Belohnung der Netzwerkteilnehmer in Form einer protokolleigenen Kryptowährung, dem sogenannten Token. Die Entwicklung dieser Netzwerkprotokolle und der darauf aufbauenden Softwareinfrastruktur wird finanziert durch den Vorverkauf der Token an Investoren und künftige Nutzer der Plattform. Diese Art der Vorfinanzierung wurde auf den Namen „ICO“ getauft, kurz für „Initial Coin Offering“. Der Name ist angelehnt an die englische Bezeichnung für den Börsengang eines Unternehmens, das „Initial Public Offering“. Ähnlich wie beim Börsengang, werden bei einem ICO Anteile an die Öffentlichkeit verkauft. Jedoch ist hierzu weder eine Börse als Intermediär notwendig, noch können Anteile am Unternehmen des Emittenten erworben werden. Stattdessen kaufen die Investoren Anteile an einem dezentralen Netzwerk, in Form eines Tokens.“

DB: Das klingt ziemlich abstrakt. Hat das Phänomen ICO denn tatsächlich Substanz oder handelt es sich eher um einen aktuellen Trend ohne wirkliche Inhalte?

Glatz: „Das neue, vollständig digitale Medium zur Unternehmensfinanzierung hat Interesse geweckt, auch in der Welt des „alten Geldes“. Eine wachsende Zahl von Unternehmen stellt sich nunmehr die Frage, wie sie die Vorteile der neuen Finanzierungs- und Buchhaltungsstruktur der Blockchain für sich nutzbar machen können. Ein Prozess, der bei den Banken begann und in der Entwicklung semi-privater Blockchain-Netzwerke unter der Kontrolle industrieübergreifender Betreiberkonsortien mündete,  diffundierte durch die Finanzwelt hin zur Realwirtschaft, wo nunmehr der blockchainbasierte Betrieb von Energiegewinnungsanlagen erprobt wird. Neben der digitalen Abbildung von Energieeinheiten steht auch die Immobilienfinanzierung vor einer dezentralen Wende. Einher gehen diese Entwicklungen mit einer größeren Vernetzung bislang unabhängiger Branchen auf einigen wenigen Netzwerken. Marktgeschehen, die heute noch voneinander getrennt stattfinden, werden über die Finanzierungs- als auch Nutzerbarkeitsebene in ein und demselben Blockchain-Netzwerk plötzlich miteinander in Verbindung gebracht. Es besteht das Potenzial, neuartige Synergien zwischen wirtschaftlichen Vorgängen weltweit zu finden. Neue Märkte können dabei gewissermaßen spielend leicht über sogenannte Vorhersagemärkte (prediction markets) durch Nutzer eines solchen Netzwerks erschlossen werden, wie etwa die Plattform Gnosis (https://gnosis.pm).

Der Utopie freier Märkte steht die Realität gesetzlicher Regulierung gegenüber. Diese ist dem neuen Finanzierungsmedium Blockchain nur in manchen Bereichen, und dort auch eher nur zufällig, gewachsen. Es stellen sich derzeit in fast jedem Gebiet gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Interaktion Fragen, die an dessen Fundament angesiedelt sind – das Recht ist hierbei keine Ausnahme. Dieser Gegensatz zweier Paradigmen, insoweit es um das Konzept der Zentralisierung vs. Dezentralisierung von Infrastruktur geht, wird noch einige Zeit für Reibungen sorgen.

Im Ergebnis dürfte das Wachstum im Bereich der digitalen Unternehmensfinanzierung via Blockchain über 2018 hinweg anhalten. Auf der Mitte Januar 2018 stattfindenden „Crypto Finance Conference“ in St. Moritz (CH) ist die Stimmung unter den anwesenden Finanziers langfristig positiv, wie der Bericht des Bundesvorsitzenden des jungen Wirtschaftsrats Marcus Ewald via Twitter berichtet. So hielten viele ein Marktvolumen von 30 Billionen Euro in zehn Jahren für möglich.[2]

DB: Worin genau liegt der scheinbar immense Wert für Unternehmen?

Glatz: „Im Gegensatz zu den altbekannten IPOs demokratisieren ICOs den Finanzierungsprozess. Die Entscheidung darüber, welches Project finanziert wird, liegt nicht bei einer kleinen Gruppe von Risikokapitalgebern, sondern kann von den potenziellen Nutzern des vorgeschlagenen Netzwerks selbst entschieden werden. Dadurch können auch die besonders frühen Nutzer einer Plattform proportional am zukünftigen Erfolg beteiligt werden. Unter den vielen Amateur-Investoren, die nun auf den Markt drängen, werden diejenigen mit einem tiefgehenden Verständnis der Technologie beziehungsweise dem Markt, in dem sich eine entsprechende Plattform etablieren möchte, erfolgreicher sein als professionelle Investoren.

Ebenfalls neu ist, dass die Software, deren Entwicklung mit einem ICO finanziert wird, in großen Teilen Open-Source-Software ist. Ein ICO ist also ein neuer Weg zur Finanzierung quelloffener Software, was einen gesamtgesellschaftlichen Mehrwert hat. Immer dann, wenn eine Gruppierung oder ein Unternehmen, das für eine Open-Source-Technologie Pate steht und deren Entwicklung vorantreibt, gegen den Konsens der Nutzergemeinschaft agiert, hat diese die Möglichkeit sich abzuspalten, um einen neuen Paten für die Weiterentwicklung der Technologie zu finden.

Auch aus Sicht der Nutzer und Investoren ergeben sich viele Vorteile: Anstatt in den Datensilos eines Diensteanbieters auf dem Application Layer gefangen zu sein, liegen ihre Nutzerdaten auf einer offenen Dateninfrastruktur. Dadurch reduziert sich der Möglichkeitsraum für Diensteanbieter, technische Lock-In-Effekte auf Anwendungsebene zu erzeugen, um damit den Wechsel zu Mitbewerbern zu erschweren. Mehr Wettbewerb bedeutet für den Verbraucher mehr Auswahl und niedrigere Preise.“

DB: Und welche Rolle spielt das deutsche Recht und die Anwaltschaft in Bezug auf das ICO?

Glatz: „Dezentrale Plattformen und deren Finanzierung im Wege des Crowdfunding machen deutlich, wie eine Welt aussieht, in der nicht nur Papier und Tinte durch Bits und Bytes als dominante Informationsträger für rechtliche Transaktionen ersetzt wurden, sondern das Rechtssystem selbst zur Gestaltung wirtschaftlicher Transaktionen marginalisiert und im Kern durch Software ersetzt wird.

In der Welt des blockchainbasierten Crowdfundings treten Informatiker, Mathematiker, Kryptographen und Spieltheoretiker an die Stelle von Juristen. Die Gestaltung und Audits der Smart Contracts, also der software-definierten Verträge, welche die Transaktionen strukturieren und kodifizieren, können von klassisch ausgebildeten Juristen nicht vorgenommen werden.

Die Aufgabe der Juristen und des Rechts reduziert sich zunehmend darauf, einen rechtlichen Rahmen zu spannen, in dem die softwaregesteuerten Transaktionen unbehelligt stattfinden können, ohne dass sich eine Aufsichtsbehörde genötigt fühlt, Sand ins Getriebe zu streuen. Diese Aufgabe ist keineswegs trivial. Jede Transaktion auf einer Blockchain ist global und berührt damit potenziell eine Vielzahl von Rechtsordnungen. Eine generelle Aussage über die Compliance einer bestimmten Transaktion zu machen, ist nahezu unmöglich. Die Blockchaintechnologie als Grundlage eines weltweit zugänglichen Finanzsystems zeigt wie schon zuvor das Internet den territorial zersplitterten Rechtssystemen die Grenzen auf.

Hier können Legal-Tech-Werkzeuge helfen, mehr Klarheit zu erzeugen und damit wieder mehr Gestaltungskraft in die Hände der Juristen zurückzugeben. Noch im Forschungsstadium begriffen sind juristische Programmiersprachen, welche es erlauben, eine Transaktion formell zu kodifizieren, sodass sowohl ein Computer beziehungsweise ein Computernetzwerk wie eine Blockchain in der Lage sind diese auszuführen, andererseits aber auch eine maschinengesteuerte Übersetzung in juristisches Prosa ermöglicht wird. Der juristische Aspekt könnte, im Idealfall, den geforderten rechtlichen Rahmen für eine legale Transaktion in allen relevanten Rechtsordnungen definieren.“

DB: Herr Glatz, vielen Dank für das Interview!

Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro

 

Mehr erfahren:

Die Blockchain-Hauptstadt Berlin wird zum internationalen Legal Tech Hub. Am 22. und 23. Februar 2018 findet zum zweiten Mal die Berlin Legal Tech statt. Unter der Leitung des Legal Tech Pioniers Prof. Dr. Stephan Breidenbach und dem „Blockchain Lawyer“ RA Florian Glatz, kommen im Rahmen dieser einzigartigen Veranstaltung Vordenker und Wegbereiter der deutschen und europäischen Legal Tech Szene zusammen.

 

[1] https://www.cnbc.com/2017/08/09/initial-coin-offerings-surpass-early-stage-venture-capital-funding.html

[2] https://twitter.com/maewald/status/953679092758462464


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