Ein Viertel aller deutschen SE mit mehr als 2.000 inländischen Beschäftigten (20 von 83, da die Sonderrechtsform SE & Co. KG[aA] nicht mitgerechnet wird) ist ausschließlich oder überwiegend im Inland aktiv, obgleich diese Rechtsform eigentlich für grenzüberschreitend tätige Unternehmen gedacht ist.
Für das Arbeitnehmerrecht auf Mitbestimmung ist die SE in Deutschland zu einem großen Problem geworden, zeigt eine aktuelle Analyse des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) der Hans-Böckler-Stiftung: Von den 424 im Juli 2021 aktiven deutschen SE haben 107 mehr als 2000 Beschäftigte im Inland. Wären sie etwa Aktiengesellschaften nach deutschem Recht (AG), könnten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Aufsichtsrat nach dem Mitbestimmungsgesetz zahlenmäßig paritätisch mitentscheiden – so wie in den aktuell 211 deutschen AG mit mehr als 2000 Beschäftigten im Inland.
SE als Instrument zum Einfrieren
Doch tatsächlich verfügen nur 21 der 107 großen SE über Aufsichtsräte, in denen zur Hälfte Vertreterinnen und Vertreter der Beschäftigten sitzen. Vier von fünf großen SE vermeiden also paritätische Beteiligung im Aufsichtsrat. Das Problem bisher: Anders als bei einer deutschen AG oder GmbH gelten hier zwei Grundsätze – Mitbestimmung ist Verhandlungssache und: Der zum Zeitpunkt der Gründung festgeschriebene Mitbestimmungs-Status bleibt für immer. Wachsende Unternehmen, die Arbeitnehmerbeteiligung verhindern wollen, firmieren deshalb häufig dann in eine SE um, wenn sie sich den einschlägigen „Schwellenwerten“ bei den Beschäftigtenzahlen nähern. Geschieht das beispielsweise bei bis zu 500 Beschäftigten im Unternehmen, wenn auch mit deutscher Rechtsform noch keinerlei Anspruch auf Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat besteht, kann dieser Zustand dauerhaft festgeschrieben werden, egal, wie groß das Unternehmen nachträglich noch wird.
Fachleute bezeichnen dieses Vorgehen auch als „Einfrieren“. Dementsprechend sind die 21 Positivbeispiele paritätisch mitbestimmter SE ganz überwiegend große Unternehmen, die schon vor der Umwandlung paritätisch mitbestimmt waren oder Tochtergesellschaften sehr großer paritätisch mitbestimmter Unternehmen.
DAX 40 mit 14 SE: Nur vier davon paritätisch mitbestimmt
Durch die Erweiterung des DAX von 30 auf 40 Mitglieder sind nunmehr 14 SE unterschiedlicher Größe im wichtigsten deutschen Börsenindex vertreten. Lediglich vier davon (Allianz, BASF, E.ON und SAP) haben einen paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrat. Bei allen anderen ist nach der I.M.U-Analyse eine geringere oder sogar gar keine Mitbestimmung im Aufsichtsrat dauerhaft festgeschrieben, egal wie groß sie noch werden. Beispiel Vonovia: Der Wohnungskonzern mit gut 10.000 Beschäftigten hat keinerlei Beschäftigtenmitsprache im Aufsichtsrat. Beispiel Zalando: Dort haben Vertreterinnen und Vertreter der Beschäftigten lediglich ein Drittel der Sitze, weil der Onlinehändler die Umwandlung zur SE kurz vor Erreichen des Schwellenwerts von 2.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern abschloss.
Schlecht für den Frauenanteil
Das bedeutet auch, dass bei 10 der 14 SE im Flaggschiff-Segment des deutschen Kapitalmarkts die verbindliche Geschlechterquote für die Aufsichts- und Leitungsorgane nicht gilt. Denn das entsprechende Gesetz bezieht sich allein auf Unternehmen, die paritätisch mitbestimmt sind.
„Unabhängig vom Problem, dass dies Anreize zur Mitbestimmungsumgehung setzt, ist das eine nicht nachvollziehbare Ungleichbehandlung, die dem gesetzgeberischen Ziel zuwiderläuft, Gleichstellung zu fördern“, sagt Dr. Sebastian Sick, I.M.U.-Experte für Unternehmensrecht und Mitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex. Laut einer Untersuchung der Beratungsgesellschaft Russell Reynolds sank mit den Neuzugängen im deutschen Leitindex der durchschnittliche Frauenanteil in den Aufsichtsräten und Vorständen der DAX-Unternehmen.