Das OLG Frankfurt am Main hat bestätigt, dass eine Gewerkschaft nur dann ein Mitglied aus wichtigem Grund ausschließen kann, wenn sie in angemessener Zeit nach Kenntnis der Gründe den Ausschluss beschließt. Ein halbes Jahr ist zu lang.
Der Kläger war Mitglied in der beklagten Gewerkschaft und seit 2012 einer ihrer zwei stellvertretenden Bundesvorsitzenden. Im September 2015 schloss die Beklagte den Kläger aus der Gewerkschaft wegen „nachhaltig und schwerwiegend schädigenden Verhaltens“ aus. Die Beklagte warf dem Kläger u.a. vor, Beiträge nicht oder nicht korrekt gezahlt, auf einer sogenannten „freien Liste“ bei der Betriebsratswahl kandidiert sowie sich im März 2015 kritisch gegenüber einer Zeitung zum Tarifkonflikt der Beklagten mit der Deutschen Bahn geäußert zu haben. Zwischenzeitlich hat der Kläger seine Mitgliedschaft in der beklagten Gewerkschaft selbst gekündigt.
Beschluss über Ausschluss war unwirksam
Mit seiner Klage begehrte der Kläger festzustellen, dass der Beschluss über seinen Gewerkschaftsausschluss unwirksam sei. Das Landgericht hat diese Feststellung antragsgemäß getroffen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg (Urteil vom 20.08.2018 – 4 U 234/17). Der Beschluss über den Ausschluss des Klägers sei unwirksam, bestätigt das OLG. Keiner der von der Beklagten angeführten Gründe sei geeignet, den Ausschluss zu rechtfertigen. Die Beklagte könne grundsätzlich ein Mitglied nur aus wichtigem Grund ausschließen. „Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und unter der Abwägung der beiderseitigen Interessen (muss) eine Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft des Klägers unzumutbar“ sein, fasst das OLG zusammen. Dabei dürfte der Ausschluss nur innerhalb einer angemessenen Frist nach Kenntnis der Gründe erfolgen. Mit einem längeren Abwarten gebe der Kündigungsberechtigte zu erkennen, dass ihm die Fortsetzung der Mitgliedschaft trotz des Grundes nicht unzumutbar ist.
Unzumutbarkeit der fortbestehenden Mitgliedschaft?
Hier lägen alle von der Beklagten angegebenen Gründe bereits so weit zurück, dass sie die Unzumutbarkeit der fortbestehenden Mitgliedschaft nicht belegen könnten. Die behaupteten Beitragsrückstände bezögen sich auf die Jahre 2012-2014 und eigneten sich ohnehin nur in gravierenden Fällen zur Begründung eines Ausschlusses. Die Kandidatur auf einer „freien Liste“ betreffe die Betriebsratswahl vor rund 1 ½ Jahren. Eine angemessene Reaktionszeit sei auch insoweit abgelaufen. Schließlich könne die Beklagte im September 2015 die Unzumutbarkeit der weiteren Mitgliedschaft des Klägers auch nicht mehr auf seine kritischen Äußerungen in einer Zeitung im März 2015 stützen. Die in der Zeitung wiedergegebene Kritik des Klägers an dem Verhalten der Beklagten im Tarifkonflikt könnte allerdings grundsätzlich als wichtiger Grund für einen Ausschluss in Betracht gezogen werden. Der Kläger hatte den mehrfachen massiven Streik der Lokführer als „falsch und schädlich für Deutschlands älteste Gewerkschaft“ bezeichnet. Unter dem Gesichtspunkt der Koalitionsfreiheit sei jedoch für die beklagte Gewerkschaft die Solidarität ihrer Mitglieder und ein geschlossenes Auftreten nach außen von besonderer Bedeutung. Nach der Interessenlage der Beklagten hätte es daher zur Vermeidung weiterer Beeinträchtigungen und eines Ansehensverlustes nahegelegen, auf diese Äußerungen möglichst umgehend mit einem Ausschluss zu reagieren.
Sechs Monate abwarten ist zu lang
Tatsächlich habe die Beklagte jedoch nahezu sechs Monate abgewartet. Damit habe sie deutlich gemacht, dass ihr eine weitere Hinnahme der Mitgliedschaft nicht unzumutbar gewesen sei. Es sei zwar „politisch“ nachvollziehbar, dass die Beklagte bei einem Ausschluss des Klägers noch während des Arbeitskampfes Sorge vor einem „Aufschrei der Öffentlichkeit“ hatte. Dennoch habe die Beklagte mit der Hinnahme der Aussagen über rund ein halbes Jahr nach außen zu erkennen gegeben, dass diese Äußerungen auch unter Berücksichtigung ihrer öffentlichen Wirkung kein dringendes Bedürfnis für einen Ausschluss begründeten.
(OLG Frankfurt /M., PM vom 18.09.2018 / Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro)