Das Finanzgericht Hamburg hat das Bundesverfassungsgericht zu der Frage angerufen, ob § 8c Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) in der Fassung des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 (jetzt § 8c Absatz 1 Satz 2 KStG) verfassungswidrig ist. Hiervon ist der vorlegende Senat überzeugt.
In der Sache ging es um eine Grundstücksentwicklungs-GmbH, die 2005 gegründet wurde und zunächst nur Verluste erwirtschaftete. 2006 teilte die Alleingesellschafterin ihren Anteil in zwei Teilgeschäftsanteile von nominell 20.000 € und 5.000 €, letzteren veräußerte sie sodann. Ende 2008 veräußerte sie auch den verbliebenen Geschäftsanteil von nominell 20.000 € an eine zum Konzern gehörige AG. In diesem Jahr erwirtschaftet die Gesellschaft auch erstmals Gewinne. Das Finanzamt versagte die begehrte Verlustberücksichtigung im Streitjahr 2008 unter Berufung auf den mit Wirkung vom 01.01.2008 eingeführten § 8c Satz 2 KStG. Die Klägerin hielt diese Verlustabzugsbeschränkung für verfassungswidrig.
Verletzung des Trennungsprinzips
Dieser Einschätzung ist das FG im Beschluss vom 29.08.2017 (2 K 245/17) gefolgt. Vor dem Hintergrund der Entscheidung des BVerfG vom 27.03.2017 zu Verfassungswidrigkeit von § 8c Satz 1 KStG (2 BvL 6/11, BGBl I 2017, 1289) erweise sich auch die Regelung in § 8c Satz 2 KStG, wonach der Verlustvortrag einer Kapitalgesellschaft vollständig wegfällt, wenn innerhalb von fünf Jahren mehr als 50 % der Anteile übertragen werden, als mit Art 3 GG nicht vereinbar. Satz 2 der Vorschrift verletzte – wie Satz 1– das sog. Trennungsprinzip.
Wirtschaftliche Identität bleibt bestehen
Für den Verlustuntergang werde auf die Ebene der Anteilseigner abgestellt, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Gesellschaft hänge aber nicht davon ab, wer Gesellschafter sei und wer sie kontrolliere. Eine Rechtfertigung hierfür hat der vorlegende Senat nicht erkennen können. Eine Verhinderung von missbräuchlichen Gestaltungen, wie bei den früheren sog. Mantelkauffällen, scheide aus, weil die Regelung keine typischen Missbrauchsfälle erfasse, sondern auch den „Normalfall“ einer Anteilsübertragung und damit als allgemeiner Abzugsausschluss wirke. Allein durch die Übertragung von mehr als 50 % der Anteile gehe auch nicht typisierend die wirtschaftliche Identität verloren, die für eine Verlustnutzung stets erforderlich ist. Die unwiderlegbare Vermutung, dass bereits die Möglichkeit der Einflussnahme des Anteilserwerbers die Gesellschaft zu einer „anderen“ mache, sei nicht tragfähig. Angesichts der vielfältigen Gründe für eine Anteilsübertragung könne eine Veränderung der wirtschaftlichen Identität erst anhand der tatsächlich ergriffenen Maßnahmen der Gesellschafter beurteilt werden. Der Verzicht auf jegliche weitere Voraussetzungen, die an das Substrat der Gesellschaft, wie deren Betriebsvermögen und/oder den Unternehmensgegenstand anknüpfen, und das alleinige Abstellen auf die Übertragung von mehr als 50 % der Anteile verfehle den Zweck der Regelung, Änderungen der wirtschaftlichen Identität zu erfassen.
(FG Hamburg, PM vom 18.10.2017 / Viola C. Didier)